Rechtliche Fallstricke beim Frühwarnsystem
Derzeit vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein Unternehmen einen umfangreichen Personalabbau ankündigt. Während der ersten Monate der COVID-19-Krise haben auf den durch Umsatzeinbrüche bedingten Arbeitsmangel zahlreiche Arbeitgeber*innen (AG) mit der Einführung von staatlich gestützter Kurzarbeit reagiert. Trotz der Verlängerung der Kurzarbeitsregelungen (vorerst bis Ende März 2021) sehen sich jetzt aber immer mehr Unternehmen zur dauerhaften Anpassung des Personalstandes an den gesunkenen Arbeitsbedarf durch Auflösung von Arbeitsverhältnissen gezwungen.
In zahlreichen Fällen handelt es sich dabei um „Massenkündigungen“, für die ein spezielles Meldeverfahren beim Arbeitsmarktservice (AMS) vorgesehen ist (sog „Frühwarnsystem“). Danach haben AG die nach dem Standort des Betriebes zuständige regionale Geschäftsstelle des AMS durch schriftliche Anzeige zu verständigen, wenn sie „beabsichtigen“, eine bestimmte Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen aufzulösen. Der Begriff „Massenkündigung“ ist allerdings irreführend, weil nach den einschlägigen Vorschriften bereits die (beabsichtigte! – siehe unten) Auflösung von fünf Arbeitsverhältnissen die Pflicht zur Anzeige an das AMS auslösen kann. Wenn davon ältere Arbeitnehmer*innen (AN) (nach Vollendung des 50. Lebensjahres) betroffen sind, gilt dies sogar unabhängig von der Betriebsgröße.
Formalfehler des AG beim Frühwarnsystem können für das Unternehmen hohe Kosten nach sich ziehen. In vielen Fällen bewirken solche Fehler nämlich die Unwirksamkeit sämtlicher im relevanten Zeitraum erfolgter Beendigungen von Arbeitsverhältnissen. Dies betrifft nicht nur AG-Kündigungen, sondern auch (vom AG veranlasste) einvernehmliche Auflösungen (siehe unten). Das Frühwarnsystem stellt daher für AG ein juristisches Minenfeld dar.
Für Aufsehen in Fachkreisen sorgte ein Urteil des OGH aus dem Jahr 2018 (9 ObA 119/17s). Erstmals machte das Höchstgericht deutlich, dass bei Verstößen gegen die Vorschriften des Frühwarnsystems auch (vom AG veranlasste) einvernehmliche Beendigungen unwirksam sind.
Davon abgesehen kann die Meldepflicht nach Ansicht des OGH bereits dann verletzt sein, wenn sich die Absicht zur Auflösung einer relevanten Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb des 30-Tage-Zeitraums in ausreichender Weise manifestiert hat. Im konkreten Fall hatte das Unternehmen einer ausreichenden Anzahl von AN die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses angeboten und ihnen bei Annahme bis zu einem bestimmten Termin (weniger als 30 Tage) einen sog „Frühabschlussbonus“ versprochen.
In der Praxis werden somit AG bei geplanten Personalabbaumaßnahmen größtes Augenmerk darauf legen müssen, dass sie nicht eine „meldepflichtige“ Beendigungsabsicht manifestieren (etwa durch Ankündigungen in Betriebsversammlungen, Pressekonferenzen etc), ohne dass die einschlägigen Vorgaben des Frühwarnsystems eingehalten werden. Will der/die AG zunächst bloß ausloten, welche AN einer einvernehmlichen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zustimmen würden, so sollte daher nachweislich klargestellt werden, dass diese „Erkundungsgespräche“ noch kein rechtsverbindliches Angebot darstellen (Unverbindlichkeitsvorbehalt!) und auch die Entscheidung über die Beendigung des konkreten Arbeitsverhältnisses noch nicht endgültig getroffen wurde.